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Auf der diesjährigen Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der Chirurgie (AQC), die am 6. November 2014 im Lindenhofspital Bern stattfand, wurde über die Zukunft der Qualitätsmessung diskutiert. Im Mittelpunkt der Vorträge und Debatten standen vier Kernfragen: Wie steht es um die Qualitätssicherung im sensiblen Fach der Chirurgie und braucht es ein staatliches nationales Qualitätszentrum? Welchen Beitrag leistet die Qualitätsmessung in den chirurgischen Subdisziplinen? Ist Qualität für den Patienten eigentlich transparent und verständlich? Und schließlich die Gretchenfrage: Gibt es Unterschiede in der Qualität zwischen öffentlichen und privaten Spitälern? Und wenn ja, welche?

Die Qualitätsmessung droht zur Qual zu werden – Status Quo in der Chirurgie

In der Schweiz wird derzeit die Einrichtung eines Nationalen Zentrums für Qualität heiß debattiert. Aber lässt sich die Qualitätssicherung der Medizin wirklich politisieren und ist das überhaupt notwendig? „Der Ruf eines Spitals ist seit jeher eng verknüpft mit den Leistungen in der Chirurgie. Darum gibt es gerade in der Chirurgie auch seit jeher ein extrem hohes Qualitätsdenken und den absoluten Willen, Qualität zu dokumentieren und darzustellen“, so Dr. Frédéric Dubas von der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie. Mit der Gründung der AQC vor 19 Jahren begannen die Chirurgen schon früh mit der kritischen Auseinandersetzung der eigenen Arbeit. Nahezu alle chirurgisch tätigen Einrichtungen der Schweiz speisen ihre Qualitätsdaten mittlerweile in die freiwillige AQC-Datenbank, die dadurch zu einem mächtigen Instrument in der chirurgischen Qualitätsmessung erwachsen ist. Und zwar auf der Grundlage eines aus der Praxis heraus entwickelten Datensets – für Frédéric Dubas eine der Grundlagen für eine effiziente Qualitätsmessung: „Die Qualitätsmessung muss in den Händen der Ärzte bleiben, der Staat sollte allenfalls eine subsidiäre Kontrollrolle übernehmen.“

Und schließlich ist die AQC nicht die einzige Institution, die sich der Messung medizinischer Qualität verschrieben hat. „Dem Nationalen Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) sind seit seiner Gründung im Jahr 2009 alle Akutspitäler, Psychiatrie– und Rehabilitationskliniken beigetreten“, so Dr. Petra Busch, Geschäftsleiterin des ANQ. Der Verein hat die Grundlage dafür geschaffen, dass für die Fachbereiche die relevanten einheitlichen Messmethoden, der Datenumgang sowie die Publikation der Daten entlang definierter Konzepte geregelt werden. Petra Busch: „Somit haben wir die Pionierarbeit unter der Prämisse nationaler Messungen bereits geleistet. Wir unterstützen zwar die Idee eines Nationalen Zentrums für Qualität, möchten jedoch Parallelstrukturen vermeiden. Es muss ein klarer Mehrwert erkennbar sein und Rollen und Aufgaben sollten eindeutig definiert werden.“

Vor einer Doppelspurigkeit warnt auch die Schweizerische Akademie für Qualität in der Medizin (SAQM). Als ärzteeigene Qualitätsorganisation hat sich SAQM dazu verschrieben, alle Aspekte der ärztlichen Qualitätsarbeit mit Nutzen für Patienten, Angehörige und Ärzte zu fördern „Wir übernehmen eine Vorreiterrolle für Qualität in der Medizin und haben auf der Ebene der Ärzte das umgesetzt, was eigentlich Aufgabe des Bundesstaates ist“, so Dr. Urs Stoffel, Mitglied des Zentralvorstandes der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), die die SAQM im Jahr 2012 gründete. Auch er setzt sich für eine bessere Vernetzung und für mehr Qualität an den Schnittstellen der einzelnen Institutionen ein, um mehr Synergien über die Institutionen hinweg zu schaffen: „Wir müssen bereits bestehende Arbeiten transparenter gestalten und das Wissen aus anderen Projekten nutzen und integrieren.“

Alle Beteiligten waren sich am Ende einig, dass es an Institutionen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Medizin nicht mangelt und ein Mehr an Messung die Qualität nicht zwangsläufig erhöht. Frédéric Dubas warnte gar vor einem Übermaß an Dokumentation: „Der Beruf des Chirurgen muss für junge Ärzte attraktiv bleiben. Es kann nicht das Ziel sein, dass administrative Tätigkeit in der ärztlichen Weiterbildung Überhand gewinnt. Wir brauchen Maßnahmen, um die Administration zu reduzieren, immer neue Register und Qualitätsmessungen sind dabei kontraproduktiv.“

Qualitätssicherung als Chance für mehr Vernetzung und Standardisierung

Um medizinische Qualität sinnvoll zu messen und aussagekräftige Daten zu erhalten, bedarf es sehr konkreter und spezifischer Fragestellungen. Neben den großen Registern wie AQC etablieren sich darum auch zunehmend kleinere Register für chirurgische Subspezialitäten, beispielsweise die HSM-Qualitätsmessung in der hochspezialisierten Viszeralchirurgie. „Der Schlüssel zum Erfolg solcher Register liegt allerdings in einer Standardisierung der Abläufe sowie der Festlegung allgemeingültiger Definitionen. Um diese zu etablieren, bedarf es einer umfangreichen Vorarbeit, bevor mit dem tatsächlichen Sammeln der Daten begonnen wird“, so Prof. Dr. Dieter Hahnloser, Service de Chirurgie Viscérale, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV).

Als weitere Qualitätsindikatoren benennt er die wissenschaftliche Evidenz, die zuverlässige Durchführung der Datenerhebung sowie eine eindeutige Mess- und Vergleichbarkeit. „Dabei müssen wir uns auf ein möglichst kleines Datenset verständigen, um nicht in einer Datenflut zu ersticken. Auch die Vernetzung mit anderen Registern, in unserem Fall dem AQC-Register, ist angebracht, um Synergien zu schaffen und Doppeleingaben zu vermeiden“, so Dieter Hahnloser

Die Etablierung von Standards war auch das Ziel der Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB), als sie das Evaluationsregister für bariatrische Eingriffe 2001 aufsetzte. „Bis dahin wusste niemand so recht, welche Einrichtungen Bariatrie betreiben oder wie häufig und welche Patientenklientel operiert wird. Uns ging es darum, Qualität in die bariatrische Chirurgie zu bringen“, berichtet Dr. Felix Bauknecht von der SMOB.

Mittlerweile haben sich klare Qualitätsmerkmale herausgebildet. So besteht für eine bariatrische Einrichtung eine Mindestfallzahl von 25 Eingriffen, Referenzzentren benötigen mindestens 50 Eingriffe. „Darüber hinaus müssen die Zentren ihre fachliche Kompetenz auch in Bezug auf die Infrastruktur nachweisen, also beispielsweise die ständige Präsenz eines bariatrischen Operateurs“, so Felix Bauknecht.

Heute greift die SMOB auf die Datensätze der AQC zu, wodurch wertvolle Synergien entstehen. Die Teilnahme am AQC-Register hat darüber hinaus den Vorteil, dass die notwendigen Daten nicht in unterschiedliche Systeme eingegeben werden müssen, also auch keine Doppeleingaben erforderlich sind. Mit den entsprechenden Schnittstellen lassen sich auch Daten aus dem KIS in das Register einspeisen, was den administrativen Aufwand deutlich senkt.

Um eine Verringerung des Aufwands in der Dokumentation geht es auch Egbert Jansen von Celsius 37, einem Anbieter von Software für die Tumordokumentation: „Qualitätsmessungen brauchen Zeit, insbesondere in Tumorzentren, in denen viele unterschiedliche Fachdisziplinen zusammenarbeiten. Und die Anforderungen an die Qualität wachsen ständig, was wiederum mit einem erhöhten Aufwand verbunden ist.“

Innerhalb dieses Szenarios geht es darum, die Effizienz der Abläufe zu optimieren und IT kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Beispielsweise indem sie die Ärzte der unterschiedlichen Fachrichtungen im Tumorzentrum miteinander vernetzt und so sicherstellt, dass die relevanten Daten jederzeit und an jedem Ort verfügbar sind. „Die IT hilft dabei, räumliche Distanzen zu überwinden und Daten krankenhausübergreifend zur Verfügung zu stellen“, so Egbert Jansen. Damit die IT ihren wahren Nutzen entfalten kann, muss sie in die vorhandene Infrastruktur der Spitäler integriert werden, um beispielsweise auch auf Daten aus dem KIS zugreifen zu können. „Mehrfacherfassungen können so vermieden werden. Gleichzeitig können relevante Strukturdaten in die Qualitätsmessung mit einbezogen werden. All diese Möglichkeiten helfen dabei, den steigenden Anforderungen an die Qualitätserfassung gerecht zu werden und den damit verbundenen Aufwand gering zu halten.“

Qualität in der Medizin aus Sicht des Patienten

Jedwede Qualitätsmessung hat letztlich nur ein Ziel: Die medizinische Versorgung der Patienten zu verbessern. Seltsamerweise bleibt der Patient in der Debatte um Qualitätsmessung und Qualitätssicherung oftmals unerwähnt. Was bedeutet Qualität für den Patienten und ist er in der Lage, diese zu beurteilen? Andreas Lüber von comparis.ch sieht hier noch einigen Optimierungsbedarf: „In der Kommunikation mit den Patienten mangelt es an Transparenz. Das führt u. a. dazu, dass das allgemeine Risiko, das mit jedem medizinischen Eingriff verbunden ist, gar nicht in den Köpfen der Menschen verankert ist. Sie erwarten die totale Sicherheit in der Medizin.“ Darum ist es umso wichtiger, dass unnötige Eingriffe unbedingt vermieden werden.

„Medizinische Leistungen sind Dienstleistungen. Eine Dienstleistung ist kein Produkt, das angefasst, begutachtet oder getestet werden kann. Es muss erklärt werden. Hier sind wir auf Spezialisten angewiesen, die medizinische Inhalte verständlich und empfängergerecht transportieren“, so Andreas Lüber. Daran fehlt es offensichtlich. Zwar bietet das Internet zahlreiche Informationsmöglichkeiten, diese sind laut Andreas Lüber jedoch vielfach weder transparent, noch vergleichbar. Auch fehlt eine Einheitlichkeit. Hier möchte Comparis mit einem neuen, unabhängigen Patientenzufriedenheits-Portal Abhilfe schaffen. Als Basis dafür wird eine, zusammen mit den Krankenversicherern aufgebaute, systematische und anonymisierte Patientenbefragung dienen. Zusätzlich sieht er auch den Staat in der Pflicht, um die Situation für die Patienten zu verbessern. Dieser muss ein Minimum an Sicherheit garantieren. Alle Institutionen, die sich über diesem Minimum bewegen, stellen sich dem Wettbewerb und für alle Einrichtungen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, soll es eine Befristung geben. Ohne Verbesserung verliert der Anbieter die Lizenz. „Derzeit übernehmen vielfach die Medien diese Kontrollfunktion, was dazu führt, dass es nur schlechte Einzelfälle in die Medien schaffen . Was fehlt ist ein einfacher und verständlicher Kontrollmechanismus, dem die Patienten vertrauen können“, bemängelt Andreas Lüber.

Patientensicherheit bzw. deren Mangel ist ein systemisches Problem, bei dem es nicht um Fehler einzelner geht – so sieht es Dr. Anna Mascherek von der Stiftung Patientensicherheit Schweiz: „Die Realität ist, dass die meisten Dinge in den meisten Fällen richtig durchgeführt werden. Das reicht jedoch nicht. Alle Abläufe müssen immer gut funktionieren. Und wir brauchen ein medizinisches System, das die Fachkräfte dabei unterstützt.“ Die Stiftung, die vor zehn Jahren gegründet wurde, ist heute eine feste Größe und wird von verschiedenen medizinischen Verbänden unterstützt. Aufgabe der Stiftung ist es, Netzwerke und Kooperationen zu fördern, die das Lernen aus Fehlern thematisieren und die den Anspruch haben, die Sicherheitskultur im Gesundheitswesen zu verbessern.

Im Rahmen eines Pilotprojektes beispielsweise setzte sich die Stiftung für die Umsetzung der WHO-Checkliste in OPs ein. „Das entscheidende Kriterium bei der Einführung ist, dass es Verhaltensänderungen und Veränderungen in der Sicherheitskultur in den Spitälern gibt. Das setzt Ressourcen und Engagement auf allen Ebenen einer Einrichtung voraus. Nur so kann der Sinn einer solchen Checkliste verinnerlicht und die Qualität wirklich erhöht werden“, erklärt Anna Mascherek. Sie erkennt ein Spannungsfeld zwischen Qualität und Quantität in der Medizin und weiß um die Tatsache, dass eine hohe medizinische Qualität nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch eine der Ressourcen ist.